Нічийна троянда - Пауль Целан
Eine andere Facette der Raumkonstruktion in der Niemandsrose ist der Weg nach innen, der Prozess der Vertiefung, der Vergra-bung in die Erde, ein unaufhörliches «Zur-Tiefe-Gehen». Die Tiefe ist für Celan mit dem Wahren identisch, man gräbt sich zu ihm nur langsam und schmerzhaft hinunter. Das Graben bedeutet auch den Weg zu den Schleusen der Erinnerung, zum Gedächtnis an die Toten. Diese gegensätzliche Bewegung — nach oben, zu den Sternen, und nach unten, in die irdische Tiefe — bildet die senkrechte Achse des Celanschen Bandes, die sich allmählich biegt und in etwas Bogen- und Kreisförmiges verwandelt, in einen Meridian, der die wichtigsten Leitmotive, Themen, Namen und Daten seiner Dichtung verbindet.
Das Gedicht steht für Celan — wie er es in seiner Büchnerpreisrede Meridian formuliert — «im Geheimnis der Begegnung». «Das Gedicht will zu einem Anderen, es braucht dieses Andere, es braucht ein Gegenüber. Es sucht es auf, es spricht sich ihm zu.»[119] Auf der Suche nach dem Anderen mobilisiert der Dichter das reiche Arsenal der Weltkultur und tritt mit ihren Repräsentanten in einen regen Dialog. Die Niemandsrose überrascht mit der Fülle intertextueller Beziehungen, die das Konzept seiner Dichtung als Begegnung mit dem Anderen bezeugen.
Bereits frühe Titelentwürfe wurden in den Vorstufen zur Niemandsrose nicht nur mit der Widmung «Dem Andenken Ossip Mandelstamms», sondern auch mit einigen Mottos versehen. So standen dort ursprünglich die Zeilen von Hölderlin aus seinem Gedicht «Der Rhein»: «…Denn/Wie du anfingst, wirst du bleiben,/ So viel auch wirket die Not…», Mandelstams Verse aus dem Gedicht «Der erste Januar 1924»: «…Geschlechtern, fremdesten, mit Kalk in deinem Blute / das Gras zu pflücken und das Kraut der Nacht…» sowie eine Zeile aus Dantes «Divina Commedia» «…si che dal fatto il dir non sia diverso» («Daß Sache sich und Wort nicht unterscheiden», «Inferno», Canto XXXII, 12)[120]. Später hat der Dichter diese Mottos gestrichen, genauso wie jene aus Shakespeare und Robert Desnos, die die Binnengliederung des Bandes thematisch akzentuieren sollten[121]. Trotzdem bleibt die intertextuelle Dichte der Niemandsrose beeindruckend — außer Mandelstam, dessen Name hier mehrmals erscheint und dessen Silhouette Celan auf dem Vorsatzblatt des Buches anbringen wollte, tauchen hier Petrarca, Hölderlin und Heine, Marina Zwe-tajewa und Nelly Sachs auf, die er namentlich nennt, ihre Verse seinen Gedichten voranstellt oder mit ihnen polemisiert. Es finden sich dann Anspielungen auf Xenophontes, Frangois Villon, Georg Förster, Mozart, die Brüder Grimm, Rilke, Georg Heym, Sigmund Freud, Marc Chagall, Arnold Zweig, Hans Magnus Enzensberger oder explizite bzw. implizite Zitate von Catull, Büchner, Baudelaire, Verlaine, Apollinaire, Saint-John Perse. Dazu müssen noch Selbstzitate oder Anspielungen auf seine früheren Texte zugezählt werden, zu denen er in den Gedichten «Zwölf Jahre» («…dein / Haus in Paris — zur Opferstatt seiner Hände») oder«… Rauscht der Brunnen» («Später der Rosen») greift.
All diese Anspielungen und Zitate haben in Celans Gedichten eine spezifische Funktion, sie markieren seine weltanschaulichen und ästhetischen Orientierungen und beschreiben den Kontext, aus dem sich sein Identitätsbild speist. Aber, wie Bernd Witte hervorhebt, «hier von Zitaten zu reden, griffe zu kurz. Eher ließe sich schon sagen, der Text bezieht sich auf die Tradition, die viele, virtuell unendliche Menge von Texten einbegreift»[122]. Die Begegnung mit diesen Texten ist die Voraussetzung für Celans Polemiken nicht nur mit einzelnen Autoren, sondern mit ideologischen, politischen und kulturellen Richtungen, die sie repräsentieren. Diese Polemiken beziehen sich nicht auf abstrakte Erscheinungen und Kategorien, sie haben immer überaus konkrete Adressaten, die namentlich bezeichnet sind. Die Bedeutung des Namens, der schon immer eine große Rolle in der jüdischen Tradition spielte, nimmt mit der Zeit in Celans Dichtung spürbar zu. Auch in dieser Hinsicht konnte Mandelstam für ihn ein gutes Vorbild sein:
Dreimal selig, wer einen Namen einführt ins Lied!
Das namensgeschmückte Lied
lebt länger inmitten der anderen —
Es ist kenntlich gemacht inmitten seiner Gefährten
durch eine Stirnbinde,
die von Bewusstlosigkeit heilt […][123] —
lesen wir in Mandelstams Gedicht «Der Hufeisenfinder», das Celan ins Deutsche übersetzte. Die «Heiligung des Namens» wird jetzt für einen Überlebenden zu seiner wichtigsten poetischen und ethischen Aufgabe, denn «die Toten — sie betteln noch, Franz», — wie er bereits in seinem Gedicht «Assisi» aus dem Band Von Schwelle zu Schwelle ermahnte. «Die Niemandsrose — schrieb schon ganz früh einer der ersten Rezensenten des Bandes Kurt Oppens — ist mit Namen gefüllt bis zum Rande, damit der Niemand wieder Jemand wird, damit sich eine neue Welt formen, der Genesungsprozess sich vollenden kann.»[124] Und das ist eigentlich die zentrale Botschaft des Celanschen Gedichtbandes Die Niemandsrose.
Zum persönlichen Weltuniversum, das Celan in seiner Dichtung konstruiert, gehören auch zahlreiche geographische, historische und religiöse Namen, von denen es in der Niemandsrose geradezu wimmelt. Das sind Ortsnamen (Paris, Czernowitz, Pontoise, Sadagora, Brest, Witebsk, Petropolis (St. Petersburg), Tarussa, Krakau, Prag, Zürich, Tübingen), Flussnamen (Seine, Rhein, Oka, Niemen), Namen von Regionen (Böhmen, Mähren, Friaul, Toscana, Normandie, Huesca, Sibirien, Kolchis) oder Namen topographischer Punkte inmitten der europäischen Städte (Anhalter Bahnhof in Berlin, La Contrescarpe und Pont Mirabeau in Paris, Hotel «Zum Storchen» in Zürich, Hölderlinturm in Tübingen). Schließlich finden sich in Celans Band auch etliche biblische (Abraham, Jakob, Jesse) oder religionsgeschichtliche Namen (Rabbi Löw). Diese unglaublich dichte Häufung von Namen verschiedener Provenienz zeigt Celan als einen überaus intellektuellen Dichter, als einen richtigen «poeta doctus», das bedeutet aber zugleich, dass sein persönlicher Kosmos immer «irdisch fixiert» ist.
Der intertextuelle Charakter der Niemandsrose äußert sich auch in der metrischen Hinsicht. Davon zeugt die Vielfalt der hier verwendeten Strophen- und Versformen, die im Laufe der Literaturgesichte ausgearbeitet worden waren. Außer den freien Rhythmen, die im Buch eindeutig dominieren, treffen wir hier Gedichtstrukturen, die an die Psalmentradition anknüpfen («Es war Erde in ihnen», «Psalm»), die altfranzösische Ballade ä la Francois Villon nachahmen («Eine Gauner- und Ganovenweise…»), den protestantischen Choral parodieren («Eis, Eden»), an romantische Muster (Eichendorff, Heine) angelehnt sind («Nachmittag mit Zirkus und Zitadelle», «Kermorvan»), die Gattung der Rilkeschen Elegie aufgreifen (besonders die umfangreichen Langgedichte) oder das Kinderlied imitieren («Selbdritt, Selbviert»), Im Vergleich zu den früheren Gedichtbänden